Merkwürdig, wie kompliziert sich die Menschen das Ende gemacht haben.
Bei den Tieren ist es einfacher: umfallen und vorbei. Eine Zeitlang vorher vielleicht schon alt werden und nichts mehr fressen mögen, vielleicht auch Schmerzen, wenn der Körper nicht mehr richtig funktioniert. Aber wenn die Zeit da ist, dann einfach hinlegen und das Herz schlägt nicht mehr.
Bei Wildtieren vielleicht noch gejagt werden, gerissen werden, an einer Straße plötzlich von Scheinwerfern und einer Motorhaube überrascht werden, dann ist es noch ein kurzer, heftiger Stress, dann Ende. Oder ein Mensch mit Gewehr kommt und macht es hoffentlich kurz, wenn er gut trifft. So oder so: Es ist recht schnell vorbei.
Bei Menschen ist es so kompliziert. Diagnose, dann Gedanken machen, wie kann ich es verhindern, abmildern, hinauszögern, vielleicht Krankenhaus und Operation, vielleicht monate- oder jahrelang Tabletten nehmen oder Chemo.
Wie lege ich Verantwortung und Aufgaben ab, die ich übernommen habe, als ich noch dachte, es geht weiter. Aus gesundheitlichen Gründen … leider … kann die Verpflichtungen nicht mehr … Kräfte begrenzt … alles Gute für die weitere Arbeit. Ein bisschen im Stich lassen ist auch dabei, ein bisschen schuldig fühlen für das überraschende Verkrümeln. Und kommen die überhaupt ohne mich klar. Wahrscheinlich leichter, als mir lieb ist, da mach ich mir besser keine Illusionen, wie schnell vergessen sie mich und machen weiter wie immer.
Überlegen und planen, wie soll ich es organisieren, was ist mit dem Geld, fehlt es vorne und hinten, bezahlt das die Krankenkasse oder die Pflegekasse oder der Staat. Oder wenn Geld da ist, vielleicht sogar viel Geld, dann drüber nachdenken, wie soll ich es verteilen an die, die nach mir dableiben. Testament schreiben.
Dann Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Bankvollmacht für den Moment, ab dem ich nicht mehr selber kann, wer regelt das für mich, wem kann ich vertrauen, wem darf ich das aufbürden. Was kann ich selber vorher schon wegwerfen, damit sie es nicht mehr sehen müssen, was sie erinnert und traurig macht, Details aus meinem Leben und aus dem Alltag, der vorbei ist.
Unterkunft ist eine große Sorge, wo kann ich bleiben in den letzten Jahren, Monaten oder Tagen, wer nimmt mich, wenn ich weit von zuhause bin, wie komme ich zurück zu meinen liebsten Menschen, um mich zu verabschieden. Wollen sie mich überhaupt so sehen, oder will ich überhaupt so gesehen werden, in diesem Zustand, wen darf ich damit belasten, darf ich sie traurig machen, sie leben doch noch weiter und sollen lieber fröhlich sein.
Wer kümmert sich um meinen Hund, wie wird es ihm gehen, wird er verstehen, dass ich ihn nicht abgeben wollte, aber musste, dass ich noch ein Zuhause für ihn gesucht habe. Wird er mich schlimm vermissen, oder wird er es einfach nehmen, wie es eben ist, eine Weile noch die gewohnten Rituale erwarten, aber sich dann schnell umgewöhnen an die anderen Menschen und Hunde, die jetzt sein neuer Alltag sind. Hoffentlich.
Die vielen Menschen, neue kennenlernen lohnt sich nicht mehr, aber was ist mit denen, die mich schon kennen, wie sag ich es ihnen, wie sage ich Danke und Ich hab Dich lieb und Auf Wiedersehen bis da oben, wie sage ich Tut mir leid, wie sage ich Ich nehme Dir unseren letzten Streit nicht übel, wie sage ich Gott segne Dich, wo immer Du bist, auch wenn Du überhaupt nicht an ihn glaubst.
Und dann, wenn das alles erledigt ist.
Herr, nun lässt Du Deinen Knecht in Frieden gehen, wie Du versprochen hast, denn meine Augen haben Deinen Heiland gesehen.*
Dann ist es wieder einfach, wie bei den Tieren. Aufhören zu essen und zu trinken, hinlegen oder einfach liegenbleiben, Augen zumachen, das Herz schlägt nicht mehr, das Gehirn fährt das rastlose Funken herunter, vorbei.
Eigentlich doch nicht so kompliziert. Eigentlich ganz einfach.
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(*) Lukas-Evangelium, Kap. 2, Vers 29-30